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Ein instabiles Gleichgewicht

Veröffentlicht am
16 April 2021
Lesezeit
4 Minuten Lesedauer

Der Zinsanstieg könnte trotz des in diesem Jahr erwarteten Wachstums der Weltwirtschaft eine Phase der Instabilität an den Finanzmärkten einläuten, meint Didier Saint-Georges, Mitglied des Strategic Investment Committee von Carmignac.

Wie lautet Ihre Analyse der aktuellen Lage auf den Finanzmärkten?

Didier Saint-Georges: Im letzten Monat haben wir die potenziellen Folgen des Zinsanstiegs für die Aktienmärkte vor dem Hintergrund der Zweifel am US-Wachstum angesprochen. Die Ausgangslage hat sich im März nicht verändert. Es besteht nach wie vor das Risiko, dass der Zinsanstieg weitergeht und gleichzeitig an den Börsen Volatilität herrscht. Die Zahlen, die in den nächsten Monaten sowohl von der Wirtschaft als auch der Politik präsentiert werden, könnten entscheidend dafür sein, ob sich eine neue Tendenz an den Finanzmärkten herauskristallisiert.

Wie sieht es aktuell mit der Überhitzung der US-Wirtschaft aus, ein Thema, das Sie im vergangenen Monat ebenfalls ansprachen?

DSG : Dieses Risiko besteht weiterhin. Da das Impfprogramm in den USA weiter fortgeschritten ist, hat sich die Gesundheitslage dort weitaus weniger zugespitzt als in Europa und den Schwellenländern (außer China) und die Zahl der Krankenhausaufenthalte ist nicht gestiegen. Dies bedeutet, dass die Wiederöffnung der US-Wirtschaft bereits angelaufen ist, während gleichzeitig die im Konjunkturpaket der Biden-Regierung vorgesehene Verteilung von Schecks an die Privathaushalte beginnt.

Präsident Biden scheint fest entschlossen, die US-Wirtschaft zu unterstützen …

DSG : Die neue US-Regierung ist in der Tat sehr fest entschlossen, jetzt ihr Konjunkturpaket, den „American Jobs Plan“, mit einem Umfang von zwei Billionen Dollar durchzubringen. Gleich danach dürfte zudem ein weiteres, eine Billion Dollar schweres Paket folgen. Die vorgesehenen Summen sind beispiellos, und da es politisch geboten erscheint, das Wirtschaftswachstum noch mindestens bis zu den US-Zwischenwahlen Ende 2022 weiter zu stützen, dürfte die Regierung auch nächstes Jahr an dieser Politik festhalten.

Wie lautet Ihre Wachstumsprognose für die US-Wirtschaft?

DSG : Die aktuelle Dynamik dürfte sich fortsetzen. Inzwischen erscheint ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA von über 7 Prozent im Jahr 2021 plausibel. Denn die Wirtschaftstätigkeit ist nach unseren Schätzungen in den zuletzt heruntergefahrenen Sektoren (Restaurants, Hotels, Luftfahrt und Freizeit) bereits um 50 Prozent gestiegen und die Arbeitslosigkeit scheint in den meisten Bundesstaaten weiter zu sinken. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn das Zusammenspiel in den USA zwischen einer Verbrauchernachfrage, die endlich befriedigt werden kann, und einem anscheinend grenzenlosen Unterstützungsprogramm stützt das Szenario einer möglichen Überhitzung, d. h. eines Wachstums, das von einem starken Preisanstieg begleitet wird.

Kann die US-Notenbank nicht intervenieren, um eine solche Überhitzung der Wirtschaft in den Vereinigten Staaten zu vermeiden?

DSG : Die US-Notenbank (Fed) befindet sich in gewisser Weise in einem Dilemma: Reduziert sie das Risiko einer Überhitzung der Wirtschaft oder verhindert sie einen Rückgang der Finanzmärkte? Indem sie die Anhebung ihrer Leitzinsen hinauszögert, nährt die Fed die Sorge, dass der Neustart der Wirtschaft, die Konjunkturpakete, der Rückgang der Arbeitslosigkeit usw. mit einem Preisanstieg einhergehen könnten. Diese Sorge ließ die langfristigen Zinsen steigen, was wiederum die Aktienmärkte belasten und beispielsweise den Immobilienmarkt ausbremsen könnte. Wenn sie stattdessen ihre Leitzinsen anhebt, wird dies automatisch einen Anstieg kurzfristigerer Zinsen auf den Finanzmärkten auslösen, der wiederum ein Risiko für die Aktienmärkte oder sogar für die Wirtschaftstätigkeit an sich darstellen würde.

Ihrer Beschreibung zufolge befindet sich die US-Wirtschaft derzeit in einer ganz anderen Lage als die europäische ...

DSG : Die Verzögerungen, die es bei den europäischen Impfkampagnen gegeben hat, kommen den Kontinent nun teuer zu stehen, denn sie bedeuten erneute Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit, die noch ein paar Monate alternativlos sein werden. Das Wachstum dürfte in Europa in diesem Jahr trotz des äußerst günstigen Basiseffekts aufgrund des Rückgangs im vergangenen Jahr kaum über 4 Prozent hinauskommen.

Ist es dann nicht paradox, dass die Aktienmärkte im ersten Quartal in Europa bessere Wertentwicklungen erzielten als in den USA?

DSG : Der Rückstand der europäischen Wirtschaft – der auf den Mängeln der Impfpolitik und der Bescheidenheit der Konjunkturpakete Europas im Vergleich zu den USA beruht – hat bisher immerhin den Vorteil, dass weniger Aufwärtsdruck auf die europäischen Zinsen besteht. Dieser Nachzügler-Status erklärt die jüngste Outperformance der europäischen Aktienmärkte. Die Finanzmärkte und die Wirtschaft hängen jedoch weltweit zusammen. Daher ist zum einen zu erwarten, dass die Wirtschaft der Region aufholt, vor allem wenn das Impftempo endlich zunimmt, und zum anderen dürfte in Europa, wie bereits in den USA, der Druck auf die Zinsen zunehmen.

Im Moment scheinen die Anleger eher optimistisch zu sein …

DSG : Zurzeit wiegt der Enthusiasmus wegen der Konjunkturerholung in den Köpfen der Anleger schwerer als die Risiken aufgrund einer Überhitzung, dauerhaft steigender Preise und eines übermäßigen Zinsanstiegs, die vor allem aus europäischer Sicht in der Tat etwas utopisch klingen. Außerdem kann der Preisanstieg durch verschiedene Faktoren begrenzt werden, die nach wie vor aktuell sind, nämlich die Bevölkerungsentwicklung, die Überschuldung und disruptive Technologien. Doch das derzeitige Gleichgewicht der Finanzmärkte ist instabil.

Wieso?

DSG : Als Risikomanager halten wir es für wichtig, auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Impulse, die die US-Wirtschaft erhalten hat, auf den Finanzmärkten für einen Wechsel der seit zehn Jahren geltenden Paradigmen sorgen. Denn die Vereinigten Staaten leiten nun, wie Ende der 1960er-Jahre, eine durchaus radikale wirtschaftspolitische Wende ein. Wie schon damals lässt sich auch nun nicht verbergen, dass die USA trotz ihrer „Sonderstellung“ – die es dem Land dank seiner Vormachtstellung erlaubt, größere finanzielle Ungleichgewichte einzugehen als andere – ein ungeheures Defizit angehäuft haben, das sich auf längere Sicht durch einen sinkenden Dollarkurs bemerkbar machen könnte, wovon die Schwellenländer profitieren würden.

Wie gehen Sie in einem solchen Umfeld vor?

DSG : : Vor allem wegen der Gefahr eines Zinsanstiegs erscheint es uns vorerst eher angebracht, eine mögliche instabile Phase an den Finanzmärkten in Betracht zu ziehen, damit das hohe Potenzial unserer langfristigen Anlagen im Portfolio bewahrt werden kann.
Wir werden daher in den kommenden Monaten weiterhin unseren langfristigen Überzeugungen entsprechend investieren, wobei wir vor dem Hintergrund der US-Konjunkturpakete von einigen Positionen wie beispielsweise in der Energiewende noch mehr überzeugt sind. Gleichzeitig behalten wir aber das Gleichgewicht an den Finanzmärkten sehr genau im Auge.

Quelle: Carmignac, Bloomberg, 31.03.2021

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