Carmignac's Note
Rationale Überschwänglichkeit?
Juli 2017
Der derzeitige Optimismus der Anleger speist sich aus einem insgesamt akzeptablen, wenngleich in den USA in jüngster Zeit etwas kraftlosen, Wirtschaftswachstum. Hinzu kommt ein großes Vertrauen in die Besonnenheit der Zentralbanken. Wir haben es nach wie vor mit einem goldenen Gleichgewicht zwischen sich mühenden Volkswirtschaften und einer zurückhaltenden Geldpolitik (siehe Carmignac’s Note vom Juni “Was will man mehr?”) zu tun. Dies ermöglicht den Anlegern mittlerweile seit achtzehn Monaten relativ gelassen mit allmöglichen Problemen – insbesondere von der politischen Seite – umzugehen. Gleichzeitig wirkt es moderat auf die Bewertungen der Aktien- und Anleihemärkte. Manche Anleger spüren zuweilen, dass das aktuelle Gleichgewicht schon lange besteht. Dies macht sie aber nur umso entschlossener, von der Endphase dieses Zustands zu profitieren. Es ist dieser allgemeine Optimismus, der in der historisch niedrigen Marktvolatilität zum Ausdruck kommt. Die Märkte haben großes Vertrauen in das goldene Gleichgewicht. Und dieser Optimismus ist rational, angesichts der sinkenden politischen Risiken (in den USA wie in Europa), der guten Verfassung der Weltwirtschaft und des moderaten Kurses der Zentralbanken. Nichtsdestotrotz gibt es neue Bereiche, aus denen Instabilität droht und diesen Bereichen sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Fehlerfreier Lauf der Fed
Die Vorankündigung der Fed im Jahr 2013, die Anleihenkäufe zu reduzieren, auf den Märkten viel Stress ausgelöst. Die Renditen amerikanischer Staatsanleihen hatten sich beispielsweise von Mai bis September mit einem Anstieg von 1,6% auf 3% fast verdoppelt. Letztlich haben die Märkte den vorsichtigen Umgang mit der allmählichen Straffung ihrer Geldpolitik gut verkraftet. Heute liegen die Renditen derselben Anleihen nach einigen Ausschlägen etwa in der Mitte dieser beiden jüngsten Extreme. Gleichzeitig ist der amerikanische Aktienindex S&P 500 weiter gestiegen und liegt heute um mehr als 30% über seinem Niveau von Anfang 2014.
Handelt es sich um ein stabiles Gleichgewicht?
Janet Yellen hat, nachdem sie den Leitzins der Fed erwartungsgemäß um 25 Basispunkte angehoben hatte, im Juni ihre Absicht konkretisiert, vor Jahresende die Bilanzsumme der Fed zu reduzieren. Diese Reduzierung dürfte langsam vonstatten gehen, aber die Richtung ist eindeutig. In jedem Fall wird es den Handlungsspielraum der Fed einengen. Im Übrigen sollen laut Fed Wirtschaftsdaten generell weniger stark das Tempo der Zinsnormalisierung bestimmen. Man bewegt sich damit auf unbekannten Terrain, so wie bereits zu Beginn der Anleihenkäufe im März 2009. Außerdem befindet man sich widerum in einer Zeit, in der sich der amerikanische Konjunkturzyklus einem Wendepunkt nähert.
Die Märkte werden die Auswirkungen dessen bei allen Anlageklassen vorwegnehmen. Angenommen, die amerikanische Wirtschaft befände sich noch im Aufschwung oder man könnte man auf die Umsetzung der trumpschen Konjunkturmaßnahmen bauen: In diesem Fall dürfte sich der Liquiditätsentzug durch die Fed positive auf die langfristigen amerikanischen Zinsen und den US-Dollar auswirken. Doch die Zeiten haben sich geändert: Trumps Reformkurs ist fraglich, und der Konjunkturzyklus hat seinen Gipfel überschritten. Daher wird die Straffung der amerikanischen Geldpolitik wahrscheinlich sehr langsam erfolgen. Insofern ist das Risiko, dass die langfristigen Zinsen stark anziehen, eher begrenzt, wodurch die Wachstumswerte wieder an ihre Outperformance anknüpfen dürften.
Zudem spricht dieses Szenario auch für die Schwellenländer. Ihre Fundamentaldaten sind solide und eine starke Aufwertung des US-Dollars ist nicht mehr zu erwarten.
Der europäische Unterschied
Sollten die risikofreien Zinsen kräftig anziehen und der Euro zu schnell aufwerten, wäre dies ein bedeutender Hemmschuh für die europäischen Märkte.
In der Eurozone hat Mario Draghi bisher dem Drängen Deutschlands und einiger Gouverneure der EZB auf eine Straffung seiner Geldpolitik wacker standgehalten. Angesichts des Verschuldungsgrads der Eurozone und insbesondere Länder wie Italien müssen die Nominalzinsen niedrig bleiben. Das Zurückfahren des Anleihenkaufprogramms in einigen Monaten ist jedoch unvermeidlich und sei es nur, weil es keine für den Ankauf durch EZB in Frage kommenden Finanzwerte mehr gibt. Diese Herangehensweise erscheint augrund des europäischen Konjunkturaufschwungs gerechtfertigt, auch ohne ein wiederanziehende Inflation. Daher verfolgt die europäische Zentralbank eher einen weniger akkommodierenden Ansatz, und das aus gutem Grund.
Diese Aussicht dürfte das übermäßig niedrige Zinsniveau deutscher Schuldtitel korrigieren und dem Euro neues Aufwertungspotenzial verleihen. Auf geopolitischer Ebene könnte die europäische Währung im Übrigen ihren Stellung durch die derzeit revitalisierte deutsch-französischen Zusammenarbeit festigen. Der US-Dollar hingegen könnte seine traditionellen Bezugspunkte verlieren. All dies spricht für zyklische Sektoren des europäischen Aktienmarktes, insbesondere den Bankensektor. Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten, dass ein kräftiges Anziehen der risikofreien Zinsen und eine zu schnelle Aufwertung des Euros ein bedeutender Hemmschuh für die europäischen Märkte wären.
Dass wir einen echten Konjunkturzyklus haben – den ersten dieser Größenordnung seit 2010 – erhöht die Konvexität des Marktrisikos in Bezug auf die Geldpolitiken.
Empfindlichkeit der Märkte
Die wohlwollenden Interventionen der Zentralbanken seit der großen Finanzkrise haben nicht nur die Bewertung von Finanzanlagen, insbesondere der Anleihen, in die Höhe getrieben sondern auch die Volatilität der Märkte radikal eingedämmt. Daher sollte man nicht von einem „Fehler“ der Geldpolitik sprechen, will man erklären, warum die Märkte empfindlich auf eine auch noch so vorsichtige Umkehr der geldpolitischen Unterstützung reagieren können.
DIe geldpolitischen Bedingungen für eine Wirtschaft zu straffen, die sich im Grunde im Abschwung befindet, würde diesen Abschwung noch verstärken. Würde sie hingegen bei einer Wirtschaft angewendet, die sich im Aufschwung befindet, würde diese Straffung ein ausgeprägtes Anziehen der Zinsen und der Währung zur Folge haben. Dass dieser Überganb erfolgrech verfolgtm hängt ganz vom Fingerspitzengefühl der amerikanischen und die europäischen Zentralbank ab und bedingt somit ein Szenario aus weiter steigenden Aktienmärkten.
Die Ungewissheit, die das politische Risiko den Märkten 2016 in den Industrieländern aufgebürdet hat, gerät mittlerweile außer Sicht. Heute ist sogar denkbar, dass einige Maßnahmen des amerikanischen Kongresses zu Deregulierungsmaßnahmen oder Steuersenkungen bis Jahresende sogar für eine positive Überraschung sorgen könnten. Trotzdem hat der Populismus hat einige politische Siege davongetragen, und wie sich dies wirtschafltich auswirkt, bleibt abzuwarten. So wird die britische Wirtschaft unter der Abschwächung der Investitionen aufgrund der Brexitankündigung leiden, und die Trump-Regierung wird versuchen, ihre Autorität zu wahren, indem sie ihren Handelspartnern protektionistische Einschränkungen auferlegt, etwa bei Stahlimporten. Europa, China und Japan werden die Herausforderung annehmen müssen, um die sprichwörtlich heißen Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. Insbesondere Europa könnte damit ganz plötzlich an wirtschaftlichem und politischem Elan gewinnen. Damit liegt ein Schlüssel für eine erfolgreiche Anlagestrategie weiterhin in der richtigen geografischen und sektoriellen Allokation. Nur so kann es gelingen, die vielversprechendsten Dynamiken zu nutzen. Gleichzeitig müssen Anleger Geopolitik und die Auswirkungen der geldpolitischen Normalisierung auf die Märkte intensiv beobachten.
Quelle: Bloomberg, 30.06.2017