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Reise ins Unbekannte

Veröffentlicht am
8 Juli 2020
Lesezeit
6 Minuten Lesedauer

Die Anleger sind daran gewöhnt, mit der Unsicherheit umzugehen, die den Märkten innewohnt und welche stets durch eine hypothetische Vorwegnahme der Zukunft angetrieben werden. In den vergangenen sechs Monaten hat diese Unsicherheit jedoch in verschiedener Hinsicht ein ganz neues Gesicht erhalten. Anstatt verschreckt zu reagieren, halten wir es für möglich, die Situation rational zu analysieren und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Denn dies ist die allgemeine Grundlage des Risikomanagements.

Erinnerung an die Logik der Märkte

[Article image] [CN] Uncharted territory

Die allgemeine Dynamik der Finanzmärkte seit Anfang des Jahres ist heute unumstritten: Die Aktienmärkte reagierten zunächst auf den außergewöhnlichen wirtschaftlichen Einbruch infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Anschließend reagierten sie auf die beispiellosen Ankurbelungsmaßnahmen seitens der Regierungen und Zentralbanken.

Das kurzfristige Verhalten der Märkte beruht auf der seit zehn Jahren bekannten Logik

Die Regierungen nahmen sich der unmittelbaren Finanzprobleme des Privatsektors an und nahmen dafür ein zusätzliches Haushaltsdefizit in Kauf, während die Zentralbanken das für die Finanzierung der gestiegenen Staats- und Privatschulden notwendige Geld druckten. Unsicherheiten nach diesem Kraftakt gibt es in Hülle und Fülle. Viele Anleger nehmen eine zunehmende Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft wahr, was sie zu Recht misstrauisch macht. Die kurzfristige Entwicklung der Märkte sollte jedoch nicht überraschen. Sie beruht auf der seit zehn Jahren bekannten Logik, die sich auf folgende drei Hauptargumente stützt:

1) Die schwache reale Nachfrage der Verbraucher in einer allgemein lahmenden Wirtschaft verstärkt den strukturellen Deflationsdruck und schließt damit jegliches Inflationsrisiko bei den Verbraucherpreisen aus. Die Inflation aufgrund der reichlichen Liquiditätsspritzen der Zentralbanken kann daher nur die Preise der Finanzwerte betreffen.

2) Aufgrund der offensichtlich herrschenden Unsicherheiten befinden sich die Zentralbanken in Alarmbereitschaft, was Vertrauen in ihre sofortige Intervention im Bedarfsfall schafft.

3) Durch die allgemein skeptische Haltung der Anleger wiederum kommt es zu keiner gefährlichen Spekulationsblase, wie wir sie aus früheren Phasen der Euphorie kennen. Die Positionierung der Anleger bleibt derzeit allgemein vorsichtig und stützt somit die Märkte.

Hinter dieser konjunkturellen Unsicherheit, mit der die Märkte umzugehen gelernt haben, verbergen sich jedoch heute neue, tiefer liegende Unsicherheiten. Diese müssen wir schnellstens in unsere Überlegungen einbeziehen, wenn wir sie nicht gleich ausräumen können.

Die gesundheitliche Unbekannte

Die erste große Unbekannte ist natürlich die Gesundheit: Die anhaltende Pandemie, vor allem in den Vereinigten Staaten und in verschiedenen Schwellenländern oder sogar eine zweite globale Infektionswelle (solange das Virus nicht ausgelöscht ist, kann es immer zu neuen Wellen kommen) bildet ein völlig neues Umfeld. Wahrscheinlich wurde noch nie über ein Virus weltweit so viel geforscht, und dennoch weiß niemand, ob und wann ein Impfstoff dagegen hergestellt werden kann.

Ganze Wirtschaftszweige werden sich an die künftigen, dauerhaften Veränderungen anpassen müssen

Die baldige Entwicklung eines Impfstoffes und seine Massenproduktion würden das Verbrauchervertrauen sicherlich stärken. Aber selbst wenn es der Forschung gelingt, rasch ein wirksames Mittel gegen das bedrohliche Virus zu finden, werden sich nach unserem Dafürhalten ganze Wirtschaftszweige an die künftigen, dauerhaften Veränderungen der Art und Weise, wie die Menschen arbeiten, kommunizieren, sich informieren, ihre Freizeit verbringen und konsumieren, anpassen müssen. Die Anpassung an diese tiefgreifenden Veränderungen kann in verschiedenen Branchen (naheliegend sind die traditionellen Medien, das Transportwesen, die Massenunterhaltung) zu einem Rückgang und in anderen sogar zu einer Beschleunigung des Wachstums führen (breite Akzeptanz des Online-Handels, Veränderungen der Art und Weise, wie Medieninhalte produziert und konsumiert werden, etc.)

Diese Phänomene könnten wiederum äußerst unerwünschte Schockwellen in anderen Branchen hervorrufen, wie vor allem im gewerblichen Immobiliensektor. Diese Erwägungen sind bereits in die Positionierung unserer Fonds nach Branchen und Themen eingegangen und werden uns in den kommenden Monaten weiter beschäftigen.

Die wirtschaftliche Unbekannte

Die zweite große Unbekannte hängt mit der Anhäufung massiver Haushaltsdefizite zusammen, durch welche die Staatsverschuldung vor dem Hintergrund eines äußerst unsicheren Wirtschaftswachstums zunimmt. Die moralische Versuchung ist so groß wie nie (es reicht, Geld zu drucken, um das Defizit zu finanzieren, also „ist alles erlaubt“, um mit Iwan Karamasow zu sprechen). Das wichtigste Szenario der Märkte heute ist, dass sich die Weltwirtschaft gegenwärtig in einer allgemeinen „Japanisierung“ befindet, die in erster Linie durch ein sehr schwaches nominales Wachstum und eine äußerst hohe Verschuldung gekennzeichnet ist. Diese Kombination wurde durch die hohen Sparquoten und die durch Staatsschulden (und bald auch Privatschulden) überlasteten Bilanzen der Zentralbanken ermöglicht. Die Hypothese eines weiterhin niedrigen Zinsniveaus, welches die zentrale Voraussetzung dafür ist, dass das System nicht zusammenbricht, wird durch die Produktionslücke gestützt, d.h. die Abweichung des durch die Krise zurückgegangenen Produktionsniveaus vom Produktionspotential bei Vollauslastung der Wirtschaft. Dadurch wird jede nachfrageseitige Inflationsgefahr auf absehbare Zeit unterbunden.

Der Konjunktureinbruch Anfang des Jahres bringt dennoch ein anderes Phänomen ungeahnter Größe zu einem Zeitpunkt hervor, der nicht unwichtig ist: Die spektakuläre Rückkehr des Sozialstaats unter den aktuellen Umständen kommt zu einem Zeitpunkt, in dem das liberale Weltwirtschaftssystem aus den 1980er-Jahren immer mehr infrage gestellt wird. Nicht nur der Protektionismus lebt wieder auf. In der öffentlichen Meinung, vor allem in den USA, steigt auch die Auflehnung dagegen, dass seit Jahrzehnten die Bevölkerung großenteils nicht über ein ausreichendes Einkommen verfügt, um Rücklagen zu bilden, während die Börse erneut Höchststände erreicht hat.

Die wachsende Ungleichheit, die daraus resultiert, dass nur die Finanzwerte steigen, nicht aber die Löhne, trägt zu einer zunehmenden sozialen Rebellion bei. Diese könnte bei den kommenden Präsidentschaftswahlen in den USA im November nicht mehr dem liberalen Populismus, von dem man bereits enttäuscht ist, Auftrieb verleihen, sondern eher den Weg zu einem ausgeprägten Interventionismus ebnen und zur Stärkung des öffentlichen Sektors und einer größeren Umverteilung des Wohlstands führen. Dem Ruf Einiger zur Rückkehr zu einer finanziellen Orthodoxie (republikanische Minderheit in den Vereinigten Staaten, die nördlichen Länder Europas) wird nach den immensen Problemen der Staatsfinanzen in den meisten größeren Ländern die schlechte und sozial ungerechte Wirtschaftsbilanz der Sparpolitik entgegengehalten. Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks sowie des voraussichtlichen Anstiegs von Unternehmensinsolvenzen in den nächsten Monaten dürfte sich die öffentliche Hand weiterhin in der Pflicht sehen, zunehmend zu intervenieren. Die dadurch entstehenden Haushaltsdefizite müssen dann von den Zentralbanken finanziert werden.

Dieser Druck hat jedoch auch seine guten Seiten: Er hat bereits zu einem stärkeren Zusammenhalt der Europäischen Union geführt, wozu sich Deutschland durchringen musste, da klar ist, dass kein Land imstande ist, diese große Herausforderung, in einer immer problematischeren Welt das Wachstum aufrechtzuerhalten, alleine zu meistern. Er könnte gleichzeitig zahlreiche Vorbehalte ausräumen, die der Finanzierung großer Investitionsprogramme, vor allem im zentralen Bereich des Umweltschutzes, im Wege gestanden hatten. Die notwendige europäische Integration und die allgemeine Akzeptanz verantwortungsbewusster Anlagen sind daher Themen, die durch die Umstände verstärkt werden und die wir im Portfolioaufbau berücksichtigt haben.

Da die weitere Entwicklung heute schwer abzuschätzen ist, kann letztlich das Vertrauen, das die so großzügig verteilten Gelder bei den Anlegern schaffen kann, ausschlaggebend sein. In dem Nullsummenspiel der Konkurrenz unter den Währungen wäre es anmaßend, schon heute zu sagen, wer gewinnt. Der Dollar büßt jedenfalls täglich seine historische Rolle als sichere Währung etwas ein. Daher muss das Risiko eines möglicherweise aufkommenden Misstrauens gegenüber den großen Währungen unserer Meinung nach verwaltet werden. Wir halten folglich die Wechselkursrisiken in unseren Portfolios niedrig, und unsere Goldpositionen stehen im Einklang mit den Währungsrisiken. Sollte dieser Richtungswechsel im Wirtschaftsumfeld mit einem entsprechenden wahrgenommenen Wandel der Inflationsziele einhergehen – auch wenn dies heute noch weit weg zu sein scheint – dürfte der Goldpreis vom Schwund der Realzinsen nur profitieren.est rates.

Wie bei jedem größeren Trauma zeigt diese zur Wirtschaftskrise mutierte Epidemie unerbittlich die Schwächen auf. Sie verdeutlicht, wie wertvoll und notwendig ein robustes Risikomanagement ist. Sie wirkt außerdem in verschiedener Hinsicht als Entwicklungsbeschleuniger. In dieser sich überstürzenden Entwicklung haben diejenigen Akteure, die sich dieser neuen Dynamik am besten anpassen, den größten Vorteil. Die Herausforderung wird in den kommenden Monaten darin bestehen, durch die Untiefen der zu erwartenden Instabilität der Märkte zu navigieren und gleichzeitig auf den Erfolg von morgen Kurs zu halten.

Quelle: Carmignac, Bloomberg, 30.06.2020

Anlagestrategie
Aktien

Der Technologiesektor und im stärkeren Maße langfristige Wachstumstitel verleihen dem Aktienmarkt nach wie vor Auftrieb und stützen die Wertentwicklung unserer Aktienfonds, die weitgehend auf solche Unternehmen ausgerichtet sind. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass diese Unternehmen - vor allem digitale Unternehmen - in der Lage sind, sich unabhängig vom globalen Wachstum zu entwickeln und zusätzliches Wachstum zu generieren. Im Übrigen verschafft ihnen ihre Margenstruktur in diesen Zeiten die notwendige Flexibilität. Sie können ihr Geschäftsvolumen rasch erhöhen, ohne auf zusätzliche Kapitaleinlagen zurückgreifen zu müssen, oder es auch reduzieren, ohne übermäßige Fixkosten tragen zu müssen.

Hervorzuheben ist in den letzten Wochen auch der starke Anstieg des europäischen Aktienmarkts. Diese Entwicklung ist auf die adäquate und koordinierte Reaktion der Europäischen Kommission, der Zentralbank und der Regierungen zurückzuführen, wodurch sich die Transparenz innerhalb der Zone erhöhte. Vor diesem Hintergrund haben wir unser Engagement in hochwertigen zyklischen Unternehmen und Derivaten auf Bankindizes ausgebaut.

Vor Beginn der Berichtssaison für das zweite Quartal scheinen die Märkte die schlechten Nachrichten zum Teil bereits eingepreist zu haben. Wir richten unser Augenmerk daher schon heute auf das Jahr 2021, für das die Erwartungen unseres Erachtens hoch ausfallen (ähnlich wie 2019). In diesem Umfeld lassen wir bei unserer Titelauswahl und beim Portfolioaufbau Vorsicht walten.

Kredite und Staatsanleihen aus Nicht-Kernländern der Eurozone schnitten im Juni sehr gut ab. In Europa scheinen die Währungs- und Finanzbehörden mit ihrer angemessenen Reaktion auf die Krise der Herausforderung, vor der sie stehen, gewachsen – immer mehr Staaten kündigten Unterstützungsmaßnahmen an, und die Europäische Zentralbank ist sehr aktiv. Die Anleihenmärkte sind mit zwei gegensätzlichen Kräften konfrontiert, was uns dazu veranlasst, die Portfolios im Gleichgewicht zu halten: Auf der einen Seite steht ein deflationäres Umfeld, das durch immer mehr noch hinausgezögerte, aber unvermeidliche Zahlungsausfälle gekennzeichnet ist, und auf der anderen Seite ein Reflationsrisiko aufgrund der beispiellosen Eingriffe der Zentralbanken und Regierungen. Infolgedessen verfügen wir über ein ausgewähltes Exposure zu riskanteren Anlagen, vor allem Unternehmensanleihen und italienischen Staatsanleihen. Als Gegengewicht zu diesen Positionen halten wir Liquidität und ein Aktienportfolio, das sich in einem Umfeld schwachen Wachstums gut entwickeln dürfte.

Italien kommen günstige Umstände zugute. Erstens kann die EZB aufgrund des Pandemie-Notfallkaufprogramms nun sämtliche ausgegebenen Staatsanleihen bis Ende des Jahres aufkaufen. Dann können Banken, die über TLTROs zu -1% Geld leihen können, mit einer höheren Rendite in Staatsanleihen investieren. Schließlich ist die Einrichtung eines europäischen Konjunkturfonds unumgänglich. All diese Maßnahmen zusammen dürften zu einer weiteren Normalisierung der italienischen Kreditspreads führen.

Bei den Unternehmensanleihen umfasst unser Portfolio im Wesentlichen drei Kategorien: Anleihen kurzer Laufzeit, die überwiegend mit „Investment Grade“ eingestuft sind, Anleihen aus dem Bankensektor und Anleihen von Unternehmen, die von der Corona-Krise stark betroffen sind.

In den Schwellenländern wollen wir ein undifferenziertes Exposure zu der Anlageklasse vermeiden, wobei wir größere Visibilität hinsichtlich der Entwicklung des Dollars abwarten und uns auf einige spezifische Anlagemöglichkeiten konzentrieren (Rumänien, Mexiko).

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